Claims: Nicht immer, aber immer öfter. (Teil 1)

Braucht eine Marke einen Claim?

Was soll er leisten? Welchen Inhalt kann er haben? Ist Englisch besser als Deutsch? Wann ist ein Claim überhaupt gut? Und was ist eigentlich der Unterschied zwischen Claim und Slogan? Lauter Fragen, die man als Werbeagentur oder als Texter immer mal wieder gestellt bekommt – und die man auch sich selbst stellt. Versuchen wir mal, ein paar davon zu beantworten.

Markenclaims gibt es schon seit etlichen Jahrzehnten, auch wenn sie heute viel selbstverständlicher und häufiger sind als etwa in den 1930er-Jahren. Damals entstand der bekannte, für heutige Ohren etwas plump klingende Satz: „Haribo macht Kinder froh.“ Erst 1962 trug man der offenbar viel größeren Zielgruppe Rechnung und reimte die bekannte zweite Hälfte des Satzes dazu (die übrigens manche Kinder verstanden als „unter Wasser ebenso“). Die gute alte Werbung halt.

Während dieser Claim in der verlängerten Fassung sich seit rund 55 Jahren konsequent durchs Werbefernsehen trällert, sucht man bei mancher anderen bekannten Marke vergeblich nach einem solchen. Die Frage, ob jede Marke einen Claim braucht, lässt sich denn auch ziemlich eindeutig beantworten: mit Nein. Porsche und auch Amazon haben zum Beispiel keinen. Trotzdem wird man beiden einen gewissen Markenerfolg nicht absprechen können – schließlich hängt letzterer von vielen Faktoren ab. Und kein Claim ist auf jeden Fall besser als ein schlechter. Das heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass ein Markenclaim keinen Nutzen bringt. Gerade eine Marke, die nicht die Strahlkraft von Porsche entfaltet, muss klar kommunizieren, wofür sie steht und wie sie wahrgenommen werden möchte. Das kann der Claim natürlich nicht allein leisten, aber wenn er gut und passend ist, trägt er durch seine Prominenz einen guten Teil dazu bei.

Der Claim steckt das Terrain ab – meistens

Das führt uns zu der Frage, was ein Claim genau ist und was er leisten sollte. Dass der Begriff im Englischen ursprünglich ein abgestecktes Grundstück bezeichnet, ist ja bekannt. In der Markentechnik ist die Bedeutung eine ganz ähnliche. Der Claim spiegelt gewissermaßen den Bereich wider, den die Marke für sich reklamiert. In diesem Sinne formuliert er den Anspruch oder auch das Bekenntnis der Marke und ist die Essenz der Positionierung. Zumindest ist das eine Spielart des Claims. Dass das in dieser reinen Form nicht immer zutrifft, werden wir nachher noch sehen. Das macht die Definition so schwierig.

Kleiner Exkurs: Wenn wir schon bei der Definition sind, sollten wir auch noch zwischen den verschiedenen Arten von Claims unterscheiden. Denn neben dem angesprochenen Markenclaim (z.B. Mercedes-Benz: „Das Beste oder nichts.“) – gibt es noch den Submarkenclaim oder Produktclaim (S-Klasse: „Feel Intelligent Drive.“). Hinzu kommt der temporäre Kampagnenclaim, der oft ein Einführungsclaim ist und formal meist als Headline fungiert („In Bestform. Die neue E-Klasse.“). Die Basisaufgabe aller Claims ist die gleiche: Marke oder Produkt kommunikativ wirksam zu positionieren und vom Wettbewerb abzugrenzen. Und das formal wie inhaltlich auf möglichst eigenständige Weise. Im Gegensatz zu anderen Claim-Arten steht der Markenclaim in den meisten Fällen beim Markenlogo.

Ohne Positionierung geht gar nichts

Schwieriger wird es bei der Frage, was an einem Slogan anders ist als an einem Claim. Etwas für sich hat die Auffassung, dass ein Slogan eher ein Synonym für den Kampagnenclaim ist als für den Markenclaim, weil sich das Wort vom schottisch-gälischen Wort sluagh-ghairm ableitet. Und darunter verstand man u.a. einen Schlachtruf während des Kampfes. Das passt gut zum Kampagnenclaim, denn eine Kampagne oder eine englische campaign (von lat. campus „Feld“) ist nichts anderes als ein Feldzug. So weit der kleine Exkurs.

Falls diese Betrachtungen richtig sind, dann sind sie es wohl nur für den deutschsprachigen Raum. Denn das Wort Slogan versteht man im Marketing tatsächlich weltweit und überall gleich: im Sinne von Claim. Unter deutschen Werbern gilt Slogan – im Gegensatz zu Claim – heute aber eher als umgangssprachlich. Und mancher deutsche Kunde meint eine Headline, wenn er von einem Slogan spricht. Umgekehrt wird das englische Wort Claim einzig und allein im deutschen Sprachraum von Marketern und Werbern benutzt. Im britischen Englisch spricht man von Endline oder Strapline, wenn man das „deutsche“ Claim meint, in den USA von Tagline oder Tag. Im Deutschen wiederum bezeichnet eine Tagline meist die Zugehörigkeit etwa zu einer Firmengruppe. So viel zur Globalisierung.

Hier und jetzt soll es nur um den Markenclaim gehen. Und damit zurück zu der Frage, was ein solcher leisten sollte und wie er beschaffen sein kann. Eins gleich vorweg: Formale Regeln gibt es nicht – am Ende des Tages entscheidet der Erfolg. Wesentlich ist, dass er auf einer tragfähigen strategischen Grundlage basiert, einer klaren Positionierung der Marke. Ohne diese wichtige Vorarbeit wird die Claimentwicklung schnell beliebig, und die Vorschläge sind im Grunde nicht bewertbar. Ist die Basis gelegt, sind unterschiedlichste Claim-Ausprägungen denkbar. Ein Markenclaim kann zum Beispiel erklärend und positionierend (Ellen Beatrix: „The care company“) sein. In diesem Fall gibt er in Kurzform den allgemeinen strategischen Anspruch einer Marke wieder, das, was sie ausmacht. Außerdem kann er animierend (Bild: „Bild dir deine Meinung“), versprechend und nutzenorientiert (eBay: „Besser kaufen und verkaufen.“), alleinstellend (Barmer: „Deutschlands größte Krankenkasse.“), visionär sein (Bionade: „Das Getränk einer besseren Welt.“) und, und, und.

Viele gute Claims wirken auch nach innen

Fast alles ist möglich, was markenadäquat und in irgendeiner Weise markenprägend ist. Ein paar Dinge sind dabei jedoch wichtig. Ein Claim sollte unabhängig von Trends sein (ohne Vokabeln wie passion, live, life, enjoy, solution usw.), dabei einprägsam und trotzdem ungewöhnlich. Am besten auch unverwechselbar. Es ist peinlich wenn sich ein Radioprogramm den Claim „Eins gehört gehört. SWR1.“ gibt, wenn ein bekannter österreichischer Sender schon mit der Aussage „Ö1 gehört gehört“ wirbt.

Eine weitere Eigenschaft vieler guter Claims, speziell wenn es um Unternehmensmarken geht: Sie wirken in ihrer Aussage nicht nur nach außen, sondern auch nach innen oder lassen zumindest die Mitarbeiter inhaltlich nicht außen vor. Das ist zum Beispiel schon dann gegeben, wenn der Claim einen Anspruch formuliert (siehe z.B. Mercedes-Benz). Die Belegschaft beim Claim „mitzunehmen“ ist selbstverständlich kein Muss – es schränkt ja auch ein –, kann aber je nach Situation oder Kultur des Unternehmens klug sein.

Apropos ungewöhnlich: Eine eindrucksvolle Geschichte hat der Claim, den Ikea vor längerer Zeit einführte. Das provokant fragende „Wohnst du noch oder lebst du schon?“ stand im Raum, ließ die Entscheider aber zweifeln. Als man den Claim-Kandidaten zusammen mit anderen Vorschlägen in einer Marktforschung testen ließ, fiel er komplett durch. Grund: Die Befragten empfanden die Botschaft als nicht zur Marke passend. Die Markenverantwortlichen trafen in dieser Situation eine mutige Entscheidung: Sie führten den Claim trotzdem ein. Sie waren der Meinung, die Marke müsse sich weiterentwickeln – und der Erfolg gab ihnen Recht. Wer Claims nur nach Gefallen wählt (und das nicht zu tun ist extrem schwer), riskiert, dass eine Marke plötzlich mit einem weichgespülten, austauschbaren Claim dasteht. Stolpert der Leser hingegen, kann das durchaus ein Vorteil sein. Man darf nicht immer gefallen wollen. Der Ikea-Claim, einer der wenigen bekannten „Frage-Claims“ – zeigt übrigens noch etwas anderes: Ein Markenclaim, der Furore macht, muss nicht unbedingt kurz sein, wenn ein ungewöhnlicher Gedanke drinsteckt. Dass ein kampflustiger Münchener Möbelhändler den Satz zu „Schraubst du noch oder wohnst du schon?“ verballhornte, hat dem Claim ebenfalls nicht geschadet.

Noch etwas: Im besten Fall ist ein Claim inhaltlich optimal an die Marke angebunden. Wer kennt das nicht: Man erinnert sich an einen Claim, aber nicht an die Marke. Merkfähigkeit allein hilft der Marke also nicht unbedingt weiter. Gerade in der Autobranche gibt es jede Menge Beispiele dafür. Die simpelste und direkteste Form der Anbindung ist es, den Markennamen in den Claim zu packen. Das ist allerdings oft unpraktisch, wenig elegant und gar nicht nötig – es geht auch indirekt: „Quadratisch. Praktisch. Gut.“ Na?

Stefan Wiegand

In Teil 2 geht es darum, was Markenclaims mit Markenhandlungen zu tun haben und wann englische Claims an ihre Grenzen stoßen.