CLAIMS: NICHT IMMER, ABER IMMER ÖFTER. (TEIL 2)
Der Claim und das Befinden der Marke
Zur Entstehung von Claims könnte man eine Menge schreiben – über Mut und Ängstlichkeit, über kleinste gemeinsame Nenner, über Demokratie und Chefsachen, über Konsequenz und mangelndes Durchhaltevermögen (siehe Teil 1). Ein weites Feld, um mit Herrn von Briest zu sprechen. Klar ist, dass der Claim allein nicht die Marke macht. Er muss Teil eines stimmigen und markengerechten Gesamtauftritts sein. Und dazu gehört, dass die kommunizierte Markenhaltung den „Markenhandlungen“ entspricht.
Das Beispiel Audi zeigt, wie so etwas aussehen kann. Nur wenige werden sich daran erinnern, dass die Marke vor gut 40 Jahren eher ein „Mit-Hut-Fahrer-Image“ hatte. Wir wollen hier nicht von der berüchtigten Klorollenhäkelkapuze sprechen, die – obwohl nur hin und wieder auf Hutablagen gesichtet – die gesamte Generation Golf traumatisierte. Wie auch immer, in dieser Zeit gab Audi die im Grunde recht simple Parole „Vorsprung durch Technik“ aus. Und: zog diesem Anspruch konsequent durch. Nicht nur im Marketing – der Claim hält bis heute –, sondern auch im Handeln. Obwohl die Produktionskosten stiegen, hielt Audi in dieser Phase sein Versprechen technischer Exzellenz bei jedem neuen Modell. Es war der Schlüssel zu einem neuen Markenimage und damit zum Markenerfolg, zu dem der Claim maßgeblich beitrug. Heute gilt Audi als Premiummarke und die Produkte gehören immerhin schon seit längerem zu den Fortbewegungsmitteln deutscher Bundeskanzler (m/f/x).
Der Claim und das Befinden der Marke
Ganz wichtig: Wird ein Claim wie bei Audi über viele Jahre hinweg verwendet, vermittelt das Zuverlässigkeit und stärkt das Vertrauen in die Marke. Der BMW-Claim „Aus Freude am Fahren“ entstand 1965 und wurde bis auf den sinnvollen Wegfall des Wortes „Aus“ seitdem nicht verändert. Das bedeutet nicht, dass Marken mit häufigem Claimwechsel automatisch als nicht vertrauenswürdig wahrgenommen werden. Das Gesamtpaket zählt. Und manchmal gibt es auch gute Gründe, die Botschaft zu überdenken. Allerdings ist häufiger Wechsel nicht selten ein Indiz für Unsicherheit bei den Markenverantwortlichen. Deutlicher gesagt: Je schlechter es einer Marke geht, desto öfter schickt man sie mit einer neuen Botschaft ins Rennen. (In diesem Punkt haben Markenclaims und Bundesligatrainer einiges gemeinsam.)
Nehmen wir das Beispiel Renault. Immerhin 15 Jahre lang hatten die Franzosen ab 1986 im deutschen Sprachraum schlicht und volksnah mit dem Claim „Autos zum Leben“ für familientaugliche Vans und sympathische Kleinwagen geworben. Da kann man natürlich schon mal über etwas Neues, Geschärftes nachdenken. Man besann sich auf die Innovationskraft, die Designstärke und das kreative Anderssein der Marke. Dieser auch angesichts der Produkte durchaus nachvollziehbare Gesinnungswandel mündete 2001 in den Claim „Créateur d’automobiles“: eine spitze Botschaft mit inhaltlichen Kanten. Zumal sie nicht nur in der frankophonen Markenheimat, sondern auch international auf Französisch ausgesendet wurde. Dass zwei kreative Oberklassemodelle in dieser Phase grandios floppten, ist längst vergessen. Unvergessen dagegen der surreale TV-Spot, bei dem ein merkwürdig nachgiebiges Baguette, nicht aber Sushi und Weißwurst einen spektakulären Crashtest in Slowmotion überstehen: Renault als Créateur de publicité.
Die Fallhöhe war groß, und so kam Jahre später der Absturz. Als Vorreiter bei der Elektromobilität führte Renault 2009 den Claim „Drive the Change“ ein. Das Spiel mit den zwei Bedeutungen von drive klingt zwar irgendwie fortschrittlich und zukunftsorientiert, aber auch äußerst austauschbar. Zudem scheint in den Pariser Headquarters niemanden gestört zu haben, dass the change ein beschönigendes englisches Wort für Wechseljahre ist und auch deshalb nicht richtig sexy. Ebenso austauschbar war der Folgeclaim, der nach weiteren sechs Jahren Einzug in die Kommunikation von Renault hielt und sich mal wieder auf das Leben als solches besann: „Passion for Life“ (in Frankreich übrigens einen Tick kantiger und etwas anders in der Aussage: „La vie, avec passion“). Der Wiedererkennungseffekt geht gegen Null. Und gleich zwei der „verbotenen“, in Teil 1 genannten No-go-Modevokablen kommen ebenfalls vor. Mal ehrlich: Welcher geneigte Leser hätte „Passion for Life“ spontan der Marke Renault zugeordnet? Und wie sieht es mit „Vorsprung durch Technik“ aus – oder mit „Créateur d‘automobiles“? Eben.
Was vermutlich wenig überrascht: Auch Opel hat in den letzten gut 20 Jahren mindestens viermal einen neuen Claim für seine Problemmarke eingeführt. Aus dem wolkigen „Wir haben verstanden“ wurde erst „Frisches Denken für bessere Autos“, dann „Entdecke Opel“, danach „Wir leben Autos“ und nach dem etwas intellektuellen Kampagnenclaim „Umparken im Kopf“ schließlich das fast sozialistisch anmutende „Die Zukunft gehört allen“. Gelungene Markenführung sieht anders aus.
Good question: englisch oder deutsch?
Opel ist auch ein Beispiel für eine andere Tatsache: Deutsche Automobilmarken kommunizieren zumindest in ihrer Markenheimat so gut wie immer mit deutschsprachigen Claims. Das ist zwar ebenfalls nicht überraschend, aber auch nicht selbstverständlich. Es gab Ausnahmen, etwa „Feel the difference“, von Ford ab 2006 europaweit verwendet. Ganz generell arbeiten viele deutsche Marken und Unternehmen mit einem englischen Claim. Das ist sicher sinnvoll, wenn das Unternehmen auch zu Hause seine internationale Ausrichtung und Tätigkeit betonen möchte. Natürlich ist es denkbar und auch oft praktiziert, in jedem Land mit einem eigenen, sinngemäß übersetzten Claim anzutreten – wie etwa Bosch. Das ist allerdings erst mal teuer und später dann aufwändig im Handling. Aber wie lautet eine gern zitierte altenglische Marketingweisheit: Every business is local.
Was hier empfehlenswert ist, lässt sich wie so oft leider nicht pauschal beantworten, weil es stark von der Kultur, der Ausrichtung, den Zielen, der Zielgruppe und der Branche des Unternehmens bzw. der Marke abhängt. Sicher ist aber, dass diese Frage ganz stark mit zwei Aspekten zu tun hat: Verständlichkeit und Glaubwürdigkeit. Denn wer glaubwürdig sein will, muss sich erst mal verständlich machen.
Wie sinnvoll ist generell die Verwendung englischer Claims zum Beispiel im deutschsprachigen Raum? Auf diese Frage geben die populären Studien einen Hinweis, die Bernd M. Samland u.a. in dem Buch mit dem merkfähigen Titel „Übersetzt du noch oder verstehst du schon?“ (2011) präsentiert (wir hoffen inständig, dass dieser Titel nicht zu einem Markenrechtsstreit geführt hat). Seit 2003 hat Samland mehrmals Konsumenten befragt und kam jedes Mal zum dem Ergebnis: Mehr als zwei Drittel der Probanden verstehen englische Werbebotschaften entweder gar nicht oder falsch. Anders gesagt: Nur etwa ein Drittel verstand die Claims so, wie sie die Absender gerne verstanden haben wollten. Logischerweise gilt das für simple Claims nicht so sehr wie für solche mit weniger geläufigen englischen Begriffen oder Konstruktionen.
Glaubwürdig heißt auch verständlich
Laut Samland übersetzten selbst in der Zielgruppe der Besserverdiener nur acht Prozent der Befragten den Claim von RWE „One Group. Multi Utilities.“ richtig. Kein Wunder eigentlich, die meisten hierzulande dürften „Utility“ – wenn überhaupt – nur aus dem Softwarebereich kennen. Nicht viel besser erging es verständlicherweise „Above and beyond“ von Land Rover und nicht mal „How alive are you?“ von Jaguar. RWE änderte seinen Claim in der Folge übrigens in „Alles aus einer Hand“. Hier wollte man wohl jedes, aber auch wirklich jedes Risiko ausschließen, missverstanden zu werden. Auch wenn man einkalkuliert, dass Samland die Präsentation seiner Ergebnisse ein kleines bisschen zuspitzt, ist wohl an einer trivialen Erkenntnis nicht zu rütteln: Fremdsprachige Claims sollte man sorgfältig prüfen, weil eben Glaubwürdigkeit Verständlichkeit voraussetzt. Und das natürlich nicht nur beim Claim.
Daraus könnte man nun schließen: Englische Claims müssen in Deutschland immer einfachst und dürfen in keiner Weise falsch auslegbar sein. Andererseits sollten sie aber auch originell, eigenständig und möglichst gut an die Marke angebunden sein. Keine leichte Aufgabe. Aber lösbar, wie zum Beispiel der aktuelle Claim von Lufthansa „Nonstop you.“ beweist: klar, überraschend, sympathisch, englisch – und trotzdem verständlich. Jetzt muss man das Versprechen nur noch halten.
Ob man sie versteht oder nicht: Fremdsprachen in der Werbung können auch ein „emotionales Problem“ sein. Warum? Bekanntlich unterscheiden sich vergleichbare Produkte verschiedener Marken oft nur wenig in ihrer Leistung. Deshalb sind die Emotionen, die eine Marke kommunikativ auslöst, meist wichtiger für ihren Erfolg – zumindest bei Endverbrauchern – als faktische Dinge wie Preis oder Leistungsmerkmale. Da aber Bildwelten als potenzielle Erzeuger großer Gefühle in vielen Fällen austauschbar sind, kommt der Sprache hier eine besondere Bedeutung zu. In einer Studie hat die Universität Dortmund versucht herauszufinden, wie fremd- bzw. muttersprachliche Werbetexte die emotionale Reaktion beeinflussen. Die Ergebnisse waren eindeutig: Die Muttersprache wirkt in der Werbung emotional stärker als jede Fremdsprache. Und das gilt natürlich auch für den Claim.
Stefan Wiegand